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Ein Jahr Medizinische Universität Lausitz – Carl Thiem

Interview mit Prof. Dr. Eckhard Nagel über Aufbau, Fortschritt und Perspektiven
01.07.2025
Prof Dr Eckhard Nagel
Prof. Dr. Eckhard Nagel

Vor einem Jahr wurde mit der Neugründung des Universitätsklinikums in Cottbus ein bedeutender Meilenstein für die Region Lausitz gesetzt – medizinisch, wissenschaftlich und strukturell. Seither hat sich viel bewegt: Der Transformationsprozess der Uniklinik läuft konzentriert auf Hochtouren, neue Professuren wurden ausgeschrieben, erste Versorgungsmodelle etabliert, der Weg zum Start für Studierende zum Wintersemester 2026/2027 geebnet und die Entwicklung hin zur Modellregion Gesundheit Lausitz angestoßen.

Anlässlich des einjährigen Bestehens zieht der Vorstandsvorsitzende der Medizinischen Universität Lausitz – Carl Thiem (MUL – CT), Prof. Dr. mult. Eckhard Nagel, im Gespräch eine erste Bilanz. Er spricht über prägende Momente im Gründungsjahr, den Aufbau wissenschaftlicher Strukturen, die Auswirkungen für Klinikpersonal einerseits und Patientinnen und Patienten andererseits und darüber, warum der Dialog mit den Menschen in der Region für ihn eine zentrale Rolle spielt.

Frage:
Herr Prof. Dr. Nagel, das Universitätsklinikum feiert zum 1. Juli dieses Jahres sein einjähriges Bestehen. Wenn Sie auf die vergangenen zwölf Monate zurückblicken – welche Meilensteine waren für Sie persönlich und institutionell besonders prägend?

Prof. Dr. Eckhard Nagel:
Zuerst einmal ist es für mich eine einmalige Situation, eine neue Universität aus der Taufe zu heben. Vergleichbares habe ich bisher noch nicht erlebt – das ist ein Original im wahrsten Sinne des Wortes. Vor allem ist es eine Gemeinschaftsleistung und ich bin beeindruckt und allen Beteiligten von Bürger über Klinikpersonal bis Entscheider, Kooperationspartner, Politiker und weiteren Beteiligten dankbar für die kollektiven Anstrengungen, auf denen unser Erfolg aufbaut. Dabei sind es nicht nur große, sondern auch unendlich viele kleine Mosaiksteine, die dazu beigetragen haben, dass wir unseren einjährigen Geburtstag so besonders feiern können.

Einen Moment, der mich besonders bewegt hat, möchte ich dabei herausheben – das war auf der Jubiläumsveranstaltung im vergangenen Jahr: 110 Jahre CTK und Neugründung der Universitätsmedizin. Im Rahmen meiner öffentlichen Vorstellung bekam ich ein Trikot vom FC Energie Cottbus mit der Nummer Eins geschenkt. Sofort ging ein Raunen durch das Publikum – und ein Gemeinschaftsgefühl wurde spürbar. Ich habe es dann übergezogen und der Applaus hat mir gezeigt, dass viele Menschen in der Region sich hinter gemeinschaftliche Aufgaben stellen. So ist das auch mit unserer MUL – CT. Teamgeist ist das Fundament unserer neuen Universität – und daran denke ich regelmäßig, wenn ich das Trikot betrachte, das an der Wand meines Dienstzimmers seinen Ehrenplatz hat.

Frage:
Welche Meilensteine waren auch Ihrer Sicht für die Menschen in der Region besonders prägend – Stichwort: Modellregion Gesundheit Lausitz – diese nimmt langsam Gestalt an. Was bedeutet das konkret?

Prof. Dr. Eckhard Nagel:
Also, wenn man erst ein Jahr alt ist, dann ist man noch ganz klein. Und insofern ist vieles von dem, was wir angestoßen haben, zwar schon von besonderer Bedeutung, aber manches auch noch nicht wirklich erfahrbar für die Menschen in der Region. Ein wichtiges Ziel im Hinblick auf die Modellregion Gesundheit Lausitz ist es, zuerst einmal alle Beteiligten an einen Tisch zu bekommen. Das ist uns gelungen – und auch mit allen Beteiligten eine gemeinsame Sprachregelung, was wir erreichen wollen, zu vereinbaren. Unsere Bewegung trägt die Überschrift: „Zuversichtsgemeinschaft“. So etwas gibt es in dieser Art und Weise in Deutschland an anderer Stelle nicht. Und insofern haben wir hier schon sehr viel erreicht – nämlich, dass wir uns aufeinander verlassen können und dass wir uns weitestgehend vertrauen.

Dann geht es darum: Was kommt bei den Menschen an? Um dies zielgerichtet voranzubringen, haben wir einige Arbeitsgruppen gebildet. In denen werden unter anderem die Themen Rückenschmerz oder die Notfallversorgung und Rettung in schwierigen Situationen diskutiert und neue Versorgungswege besprochen. Neuerungen kommen durchaus schon heute bei einigen Patientinnen und Patienten an. In den nächsten Wochen und Monaten wird das aber noch deutlich besser erkennbar werden.

Frage:
Uns haben erste Hinweise erreicht, dass in naher Zukunft Bürgerdialoge geplant sind. Können Sie uns bereits etwas Näheres dazu sagen?

Prof. Dr. Eckhard Nagel:
Ja, in der zweiten Jahreshälfte starten wir mit sogenannten Bürgerdialogen. Wir planen, in jedem Landkreis und in der Stadt Cottbus jeweils drei Veranstaltungen durchzuführen. In Abstimmung mit Landrats- und Gesundheitsämtern suchen wir geeignete Orte, um Menschen zusammenzubringen. Ziel ist es, zuzuhören: Was erwarten die Bürgerinnen und Bürger von der Universitätsmedizin? Wo stehen wir heute in der gesundheitlichen Versorgung? Wo gibt es Sorgen und Ängste? Und: Wenn man in ein paar Jahren zurückblickt – wo würden die Menschen sagen: „Da hat sich für mich persönlich etwas positiv verändert“? Diesen Dialog möchten wir in Zukunft regelmäßig führen, um das Projekt „Modellregion Gesundheit Lausitz“ als Gemeinschaftsbewegung in der Lausitz zu etablieren.

 

Frage:
Ein erfolgreicher Start für unsere Studierenden zum Wintersemester 2026/2027 setzt voraus, dass die notwendigen personellen und räumlichen Strukturen vorhanden sind – insbesondere mit Blick auf die Lehre. Wie ist der aktuelle Stand bei der Ausschreibung der Professuren?“

Prof. Dr. Eckhard Nagel:
Insgesamt sind derzeit bereits knapp 30 Professuren ausgeschrieben und das ist nur der Anfang.

An etablierten Universitäten gelten schon vier oder fünf Berufungsverfahren gleichzeitig als große Veränderung. Bei uns ist das anders: Wir bauen gerade eine ganze neue Gründungsgeneration auf. Deshalb herrscht im Moment sehr viel Dynamik.

Besonders erfreulich ist, wie groß das Interesse an den ausgeschriebenen Stellen ist und wie sehr sich das im Vergleich zum Anfang 2024, als es die Universitätsmedizin noch nicht gab, massiv verändert hat. Vor einem Jahr gab es bei manchen Chefarztpositionen kaum Bewerbungen. Heute erhalten wir auf jede Ausschreibung für eine Professur bis zu zehn, manchmal sogar 15, 20 oder 30 Bewerbungen – das ist eine wirklich starke Resonanz.

Und nicht nur aus der Region: Auch Bewerberinnen und Bewerber aus dem gesamten Bundesgebiet und zunehmend aus dem Ausland – vor allem dem angelsächsischen Raum, wie England oder den USA – interessieren sich für uns. Das zeigt, dass unser Projekt wahrgenommen wird und offenbar viel Interesse und Neugier weckt.

Frage:
Ein zentraler nächster Schritt ist der Start des Studienbetriebs. Wann genau können sich die ersten Studierenden für ein Medizinstudium an der MUL – CT bewerben?“

Prof. Dr. Eckhard Nagel:
Ein genaues Datum steht noch nicht fest, da das nicht allein von uns abhängt, sondern von einer zentralen Stelle, die die Hochschulzugangsberechtigung in der Medizin vergibt. Aber: Man wird sich zum Wintersemester 2026/27 bewerben können. Entsprechend wird es im Frühjahr/Sommer 2026 nähere Informationen dazu geben.

Frage:
Das Ziel ist klar: Zum Wintersemester 2026/27 soll der Universitätsbetrieb offiziell starten. Was sind aus Ihrer Sicht weitere wesentliche Voraussetzungen, damit dieser Start reibungslos gelingt?

Prof. Dr. Eckhard Nagel:
Zunächst brauchen wir das nötige Personal – die Professuren in der sogenannten „Vorklinik“, wie Anatomie, Medizinische Psychologie und Physiologie. Diese müssen besetzt sein. Darüber hinaus kooperieren wir eng mit der Brandenburgische Technische Universität Cottbus - Senftenberg (BTU), um auch die naturwissenschaftlichen Grundlagen gut abzudecken.

Ein anderer wichtiger Punkt ist die Infrastruktur: Ein neues Gebäude für die Studierenden wird es zum Start noch nicht geben, aber wir haben bereits Räume identifiziert, die ertüchtigt werden – z. B. ehemalige Laborflächen, die noch in gutem Zustand sind, werden aufgearbeitet und für Studierende reserviert. Es wird Ausbildungs- und Aufenthaltsräume für die Studierenden geben und wir werden auch an dieser Stelle mit der BTU kooperieren.

Frage:
Forschung ist ein zentrales Element eines Universitätsklinikums. Welche Grundlagen bestehen aktuell, um mittelfristig relevante Forschungsprojekte zu ermöglichen?

Prof. Dr. Eckhard Nagel:
Wir gewinnen monatlich neue Kolleginnen und Kollegen, die helfen, die Infrastruktur für die Forschung auszubauen. Damit meinen wir, dass die entsprechenden Studienbegleitungen möglich gemacht werden, dass es Menschen gibt, die Rechenkapazität zur Verfügung stellen, dass digitale Strukturen geschaffen werden und dass natürlich damit Professuren, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die in dem Bereich dann arbeiten wollen, sich andocken können.

Frage:
Viele Menschen fragen sich, was sich durch den Universitätsstatus konkret in der medizinischen Versorgung verändert. Inwiefern profitieren Patientinnen und Patienten bereits heute – und wo liegen die größten Chancen für nachhaltige Verbesserungen in der Zukunft?

Prof. Dr. Eckhard Nagel:
Zum einen dadurch, dass wir hochqualifizierte Menschen berufen – mit neuen Impulsen und Innovationen. Das ist in verschiedenen Fachbereichen bereits sichtbar.
Im ersten Jahr haben wir in mehreren Bereichen die medizinischen Leistungen deutlich steigern können. Die Nachfrage ist hoch – es gibt natürlich noch Wartelisten –, aber das Angebot wird breiter und mit dem erweiterten Medizinkonzept wächst es weiter. Und das gilt nicht nur für Cottbus, sondern für die ganze Modellregion:
Zum Beispiel führen wir heute schon Wirbelsäulen-Eingriffe gemeinsam mit der Klinik in Forst durch oder arbeiten bei Nierenerkrankungen mit Guben zusammen.
Solche Kooperationen wird es auch mit Spremberg, Senftenberg und anderen Standorten geben – die medizinische Entwicklung wird sich in der ganzen Lausitz zeigen.

Frage:
Ein solch ambitioniertes Vorhaben bringt sicher auch Herausforderungen mit sich. Was sind aus Ihrer Sicht aktuell die größten Hürden?

Prof. Dr. Eckhard Nagel:
Jeder Tag ist eine Herausforderung bei diesem Projekt – und das wird auch so bleiben. Aber wir haben in einem Jahr schon viele wichtige Ordnungen verabschiedet, die es braucht, um eine Universitätsmedizin zu strukturieren – etwa zur Promotion und Habilitation. Das sind wichtige wissenschaftliche Grundlagen. Mit unserem innovativen Lehr- und Medizinkonzept bauen wir Strukturen auf – damit alle Studierenden zum Start im Wintersemester 2026/27 ein hochqualitatives Studium erhalten.

Parallel haben wir altersbedingt viele Umbrüche in den Kliniken – hier entsteht gerade eine sogenannte „Gründungsgeneration“, auch auf Leitungsebene. Neue und erfahrene Kolleginnen und Kollegen zu unterstützen, um zu einem Team zusammenzuwachsen, ist eine große Aufgabe.

Frage:
Dann bleibt abschließend nur noch eine Frage: Worauf freuen Sie sich persönlich im kommenden Jahr am meisten?

Prof. Dr. Eckhard Nagel:
Ich freue mich besonders auf die Bürgerdialoge. Sie sind ein wesentliches Element, um die neue Institution in der Region zu verankern und um uns alle in der Lausitz noch einmal neu zu motivieren. Mein Ziel ist es, dass dieses strukturelle Projekt wirklich eine substanzielle, positive Veränderung für das gemeinschaftliche Leben darstellt. Ich hoffe sehr, dass wir als Gemeinschaft erkennbar werden – Menschen aus der Lausitz und Menschen, die neu hierherkommen. Und ich freue mich vor allem auf die jungen Leute, die dieses Projekt in die Zukunft tragen werden.